Fliege auf Blatt

 

 16. Die Schmeißfliege

 

Geschichte zum Thema

Rackerst auch du dich an der falschen Stelle ab

 

 

 ... Gestern habe ich eine Schmeißfliege beobachtet. In ihrem Eifer, aus dem Wohnzimmer zu entkommen, flog sie ständig gegen die Fensterscheibe, wobei sie sich jedes mal gnadenlos den Kopf am Glas stieß. Irgendwann jedoch gab sie die Geschossnummer auf und beschränkte sich von nun an bei ihren Bemühungen auf ein kleines Stück Scheibe, auf dem sie in sinnloser Panik herumbrummte. Ein frustrierender Anblick, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Freiheit so leicht zu erreichen gewesen wäre - sie hätte nur ein kleines bisschen höher hinauf-fliegen müssen, statt es immer wieder auf die gleiche, erwiesenermaßen aussichtslose Weise zu versuchen.

 

Ich konnte mir gut vorstellen, was für ein schreckliches Gefühl es sein musste, die Bäume, die Blumen, den Himmel zu sehen, aber einfach nicht hinkommen zu können. Ein paar Mal versuchte ich, dem dummen Tier zu helfen, in dem ich es in Richtung des offenen Fensterflügels scheuchte, aber das mache ihm nur noch mehr Angst, es ergriff die Flucht vor mir und raste quer durchs Zimmer, nur im irgend-wann zur gleichen Stelle am gleichen Fenster zurück zu kehren. Ich konnte mir fast einbilden, sein verzweifeltes Stimmchen zu hören, wie es brummte: "Also, hier bin ich aber doch rein gekommen ...!"

 

Während ich so in meinem Sessel saß und den Brummer beobachtete, überlegt ich mir, ob Gott sich wohl so fühlte wie ich in diesem Moment - falls es einen Gott gibt. Ob er sich zurück lehnte und das große Ganze sah, so, wie ich jetzt mühelos durchschaute, dass die Freiheit für die Fliege zum Greifen nah war und sie nur ihre Taktik ein bisschen ändern musste. Das Tierchen saß gar nicht wirklich in der Falle, überhaupt nicht - es rackerte sich nur an der falschen Stelle ab ...

 

 

aus: Cecelia Ahern - "Ich schreib dir morgen wieder" 

 

 

gefunden in: www.neue-wege-4you.de